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Wege digital zu recherchieren und zu erzählen

tjg.dresden ~ 18. März 2019

Die Theaterakademie des tjg. ist auch ein Aus- und Fortbildungsort für PädagogInnen, die im weitesten Sinne theatrale Mittel in ihrem Unterricht und ihren Gruppenangeboten einsetzen möchten.
In einer vierteiligen Fortbildung zum Thema „Spielweisen des Digitalen – Neue Zugänge zu künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten“ wird zu den Schlagworten Storytelling, Augmented Reality und Spielwelten das Spektrum der digitalen Erzählungmöglichkeiten umrissen und auf die Möglichkeit der Übersetzung ins Theater hin überprüft.

1. Termin der Fortbildung „Spielweisen des Digitalen“

Wie startet man in eine Fortbildung zum Thema Digitales, um in kürzester Zeit das meiste von den TeilnehmerInnen und ihren Beweggründen an der Fortbildung teilzunehmen zu erfahren?
Man lässt jede/n Einzelne/n anhand des eigenen Smartphones und der darauf befindlichen Apps vorstellen.
Auf einen Blick werden Interessen (Hintergrundbild, Auswahl der Apps) und Sinn für Strukturen (Anordnungen der Apps in Ordnern oder nicht?) offenbar. Sehr persönliche Geschichten sammeln sich so bereits in den ersten Minuten des Zusammenseins an, denn es wird mit Scham oder Stolz über das Hintergrundbild erzählt, die Anzahl der ungelesenen Textnachrichten und Mails verteidigt und der Sinn von fünf Messengern dargelegt.

Wie und wo wird im digitalen Raum erzählt

Der Selbstbefragung, die mit Post-It’s an die Wand geheftet werden, folgt die Lektüre des Artikels „Erzählen“ im Buch „Digitales Erzählen – Die Dramaturgie der Neuen Medien“ von Dennis Eick. Die kurze Diskussion des Inputs dreht sich vor allem um veränderte Aufmerksamkeitsspannen: Wie kann es sein, dass Videos, Texte und Vorträge immer kürzer werden müssen, damit sie wahrgenommen, bzw. konsumiert werden, aber gleichzeitg Serienformate, die ihre ZuschauerInnen über Stunden binden, zwei parallele Entwicklungen sind? Was unterscheidet das eine vom anderen?
Aber auch die Tatsache, dass beim digitalen Erzählen immer eine Antwort oder ein Eingreifen des Adressaten mitgedacht wird, ist Teil der Verständigung.

Recherche zum Thema Digitales Erzählen – inkl. Ergänzungen nach dem Lesen des Textes

Wo steht das Theater?

Da die Fortbildung prüft, ob Herangehensweisen des digitalen Erzählens auch für das Theater genutzt werden können und dieses verändern, wurden exemplarisch vier Produktionen des tjg. mit ihren Besonderheiten vorgestellt. Diese sind seit 2014 / 2015 hauptsächlich im Rahmen des europäischen Projektes PLATFORM shift+ entstanden.

Die Inszenierung zeigt einen vielstimmigen Analog-Chat, der digitale Codes ins Analoge übersetzt.

Trailer der Inszenierung Spielzeit 2015 / 2016
  • Erstkontakt ~ Theaterakademie ~ 12+

Die Inszenierung erprobte unter anderem das Potential eines „Second Screen“ im Theater, in dem jeder/m Zuschauenden ein Smartphone mit einem vorinstallierten Chatraum zur Verfügung gestellt wurde.

Trailer der Inszenierung Spielzeit 2014 / 2015
  • Kein Zutritt / No entry (UA) – ein interaktiver Videowalk ~ In deutscher und englischer Sprache ~ von Jo Parkes ~ eine Koproduktion des tjg. theater junge Generation (D) und den Emergency Exit Arts (GB) ~ Schauspiel ~ 12+

Die Inszenierung nutz die digitale Welt, um den physischen Raum neu erlebbar werden zu lassen. Über die Setzungen der Geschichten, die über die Tablets erzählt werden, wird auch der umgebende Raum des Theaters neu erlebt und definiert.

Trailer der Inszenierung Spielzeit 2017 / 2018, aktuell noch im Repertoire
  • Antigone von Sophokles ~ Nachdichtung von Walter Jens ~ Schauspiel ~ 14+

Der antike Chor wird in die digitale Welt übersetzt. Ulrike Leßmann äußert sich im theaterpädagogischen Material „Zündstoff“ zu dieser theateralen Übersetzung.

In die Praxis einsteigen: Recherche

Um für die folgende Praxisarbeit als Gruppe schnell Texte austauschen zu können, wurde zunächst eine Gruppe in einem Messengerdienst gegründet, der ebenso eine Browserversion anbietet, so dass Texte direkt über einen Rechner/ Beamer für alle projiziert, bzw. Tonaufnahmen über eine Tonanlage geteilt werden können.

Dennis Eick machte in seinem Text deutlich, dass es um persönlich aufgeladene Geschichten geht, die sich für eine Erzählung im Digitalen eignen. Aber wie finden wir solche Geschichten?

Gruppe 1 – Wege in die eigene Biografie

Die erste Gruppe zog aus der Karteikartensammlung von Rotraut Susanne Berner „Einfach alles!“ eine Bildkarte und lies sich davon zu einer biografischen Erzählung inspierieren. Diese wurde als Sprachnachricht aufgenommen und in den Gruppenchat gestellt. Schließlich wurde die biografische Erzählung in einen Tweet umformuliert und mit Hashtags versehen.

Sprachnachricht


#elephantastisch #againachild hab früher #one-armed meine freunde gejagt #chivvey #lol War super nice #againagainagain #whatareyouthinkingof

„Tweet“ der Teilnehmerin aus Sprachnachricht nach biografischer Erzählung


Ich komme heute aus der Schule und bin so froh dagewesen zu sein. Kleiner Knirps hat zum ersten mal gehört dass es ok ist rot zu sehen wenn wütend ist… :rage: #goodjobs


„Tweet“ einer Teilnehmerin nach biografischer Erzählung


In meiner Kindheit trug ich zu besonderen Anlässen ein kirschrotes, mit blau-gelben Blumen besticktes Samtkleid #Haptik vs #Optik

„Tweet“ einer Teilnehmerin nach biografischer Erzählung

Bei der szenischen Umsetzung des Materials wird vor allem mit Anordnungen und Zufällen gearbeitet. Alle TeilnehmerInnen stehen mit ihren Handys in der Hand auf der Spielfläche, hinter ihnen die wechselnde Projektion der Bildkarten, die ihnen als Inspiration zur biografischen Erzählung dienten. Über die Lautsprecher ertönen wechselweise ihre Sprachnachrichten. Sie arrangieren im Wechsel, manchmal bruchstückhaft, ihre Tweets dazu.

In der Auswertung der zuschauenden Gruppe war ein Sprach- und Erzählnetz entstanden, dass die Vorlesenden assoziativ miteinander verband. Vor allem die Hastags wurden als vernetzende Elemente sowohl bei den SpielerInnen, als auch den Zuschauenden empfunden.

Gruppe 2 – Wege zu fremden Biografien

Das Netz ist voller persönlicher Geschichten. Dennis Eick regt an, auch scheinbar erzählfremde Plattformen zu prüfen, so werden z.B. auch auf Verkaufsplattformen die Objekte mit Geschichten versehen, um sie besser und/oder teurer verkaufen zu können. Aber auch Wissensplattformen sind gute Recherchequellen.

Folgende Seiten wurden von unseren TeilnehmerInnen zur Recherche herangezogen:

  • www.gutefrage.net Forum, auf der Fragen und Antworten zu allen Lebenslagen geteilt werden. Je länger die Konversation zu einer Frage wird, desto persönlicher werden die Geschichten. Eine Recherche lohnt sich auch nach Schlagworten.
  • www.neverlikeditanyway.com Schmuckstücke und Geschenke von Ex-Partnern werden zum Verkauf angeboten und mit der entsprechenden Trennungsgeschichte versehen.
  • Post Secret Menschen teilen auf Postkarten ihre Gehemnisse und schicken sie an diesen Blog. Vor allem ein guter Ausgangspunkt fürs eigene Fantasieren.
  • Verkaufsportale für Bücher Die TeilnehmerInnen haben die Inhaltsangaben von Biografien als Quelle genutzt.

Auch hier wurden die gefundenen Erzählungen in Tweets mit Hashtags verkürzt und auf die Spielfläche gebracht – diesmal ohne zusätzliche Projektion oder Tonquelle. Aber auch hier „vernetzten“ sich die kurzen Erzählungen über die Hashtags miteinander.

#Rache. Nach dem Löschen des Wohnungsbrandes war auch unsere Liebe erloschen. 3,5 Jahre und dann in zwei Minuten abserviert. Heul. Ich sei nicht seine Person. Heim weg, Mann weg. Was kann ich ihm antun? #Feuer weg.

„Tweet“ einer Teilnehmerin zu einer gefundenen biografischen Erzählung

1941. gestapohaft, untersuchungshaft. ein selbstgenähtes kleid für die verhandlung.#dreijahrehaft. block 19. sand bewegen. schaufeln.schaufeln.schaufeln#körpergrenzen. märz 1945 typhus.#dreiineinembett. #fluchtgedanken. freundin hermi mit herzinnenwandentzündung. #hermimussmit #hermikammit

„Tweet“ einer Teilnehmerin zu einer gefundenen biografischen Erzählung

Als Kind hatte ich einfache Ziele. Ich wollte einen Hund, ein Haus mit einer Treppe, einen viertürigen Combi. Ich erzählte dass ich Kinderärztin werde #Kinderträume#

„Tweet“ einer Teilnehmerin zu einer gefundenen biografischen Erzählung

Wie weiter

In der kommenden Woche steht nach der Recherche das Thema Textproduktion und Storytelling im Zentrum.